Brodie Lockard und das Spiel, das mit einem Mundstab begann

Wie ein schwerer Unfall zur Erfindung von Mahjong Solitär führte

Wenn du Mahjong Solitär spielst, Steine kombinierst, Ebenen abräumst und siehst, wie sich das Spielfeld langsam öffnet, fühlt es sich an wie ein Rätsel, das sich über viele Jahre entwickelt haben muss. Vielleicht hat ein Mönch vor Jahrhunderten das erste Schildkrötenlayout gelegt. Vielleicht stammt es aus einer alten Variante des klassischen Vier-Spieler-Spiels. Aber das stimmt nicht. Es kam von einer einzigen Person. Einem einzigen Computer. Einer einzigen Idee.

Der Mann hinter dem Spiel war Brodie Lockard. Und seine Geschichte handelt nicht nur von einem Spiel, sondern von einem Neuanfang.

Ein plötzlicher Bruch mit allem

Lockard war Ende der 1970er Jahre Student. Er interessierte sich für Mathematik, Computer und Gymnastik. Doch bei einer ganz normalen Trampolinlandung passierte es. Er kam falsch auf, rutschte in ein Schaumstoffbecken und zog sich eine schwere Wirbelsäulenverletzung zu. Seitdem war er vom Hals abwärts gelähmt. Anfangs konnten seine Lungen nicht einmal selbst arbeiten. Sein sportliches Leben, sein Studium, jede Bewegung, alles war in einem Moment verschwunden.

Aber während sein Körper zur Ruhe gezwungen wurde, suchte sein Geist neue Wege.

Das Terminal, das alles veränderte

Während der Reha lernte Lockard ein PLATO-Terminal kennen, ein frühes Computersystem für Bildungszwecke. Er konnte es nicht wie andere über eine Tastatur bedienen, doch mit einem Mundstab und viel Geduld gelang ihm der Einstieg. Der Computer war sein Fenster zur Welt. Und noch mehr, eine neue Möglichkeit, etwas zu erschaffen.

Er begann zu programmieren. Langsam. Buchstabe für Buchstabe. Tipp für Tipp.

In dieser Zeit stieß er auf Mahjong-Steine. Nicht das bekannte Spiel zu viert, sondern die Steine selbst, dekorativ, gestapelt, symmetrisch. Er stellte sich ein Puzzle vor, in dem man diese Steine paarweise kombiniert. Nicht nach Zügen oder Kartenhänden, sondern nach räumlicher Logik. Nur freie Steine sollten entfernt werden dürfen. Wer oben oder an beiden Seiten blockiert war, blieb unzugänglich, bis Platz geschaffen wurde.

Und er begann, genau dieses Spiel zu entwickeln.

Ein Puzzle, geboren aus Einschränkungen

Ein Spiel auf dem PLATO-System zu bauen war nicht einfach. Die Grafik war rudimentär, die Eingabe eingeschränkt. Doch Lockard fand kreative Lösungen. Er stellte verschiedene Ebenen dar, indem er die Ränder dicker zeichnete, so entstand in 2D ein Eindruck von Tiefe. Er erfand das heute bekannte Schildkrötenlayout, ein gestapelter Aufbau mit Deckel, Körper und Seitenflügeln.

Er nannte sein Spiel Mah-Jongg. Es war nicht spektakulär, aber es funktionierte. Die Regeln waren klar: passende Paare entfernen, das Spielfeld freilegen, alles abräumen. Hinter der schlichten Oberfläche steckte ein ausgewogenes Logikpuzzle, das meditativ und herausfordernd zugleich wirkte und heute oft als sanftes Gehirntraining beschrieben wird.

Das Spiel verbreitet sich leise

Anfangs spielten nur PLATO-Nutzer. Eine kleine Gruppe. Aber diejenigen, die es kannten, vergaßen es nicht. Und als Heimcomputer in den 1980ern alltäglich wurden, tauchte die Idee erneut auf.

Startbildschirm von Shanghai 1986

1986 erschien eine Heimumsetzung namens Shanghai für Systeme wie Amiga, Macintosh und IBM PC. Sie folgte Lockards Grundprinzip, ein gestapeltes Layout, Mahjong-Steine und dieselben Kombinationsregeln. Das Spiel wurde überraschend erfolgreich. Für viele war es das erste Computerpuzzle, das nicht auf Zeitdruck oder Reaktion setzte, sondern auf visuelle Logik und Geduld.

Später, 1990, erschien das Spiel unter dem Namen Taipei im Windows Entertainment Pack von Microsoft. Plötzlich war es überall, in Büros, auf Heimcomputern, auf Laptops. Mahjong Solitär war zu einem der meistgespielten digitalen Puzzles weltweit geworden.

Eine ausführliche Zeitleiste zur Entwicklung findest du in unserem Artikel Die Geschichte von Mahjong Solitär.

Warum es so gut funktioniert

Die Genialität von Lockards Spiel lag nicht nur im Kombinieren der Steine, sondern im Aufbau. Die Art, wie die Ebenen gelegt wurden. Die Struktur des Spielfelds. Die einfache Regel, zwei freie Steine zu kombinieren, führte zu Entscheidungen mit Tiefe, ohne den Spieler zu überfordern. Es war kein simples Zuordnungsspiel. Es ging um Raumgefühl, Gedächtnis und Planung.

Und im Gegensatz zu vielen anderen Computerspielen dieser Zeit versuchte es nicht, durch Lärm oder Hektik zu unterhalten. Es schuf Ruhe. Es brachte die Spieler zum Nachdenken. Es ließ ihnen Raum zum Atmen.

Ein Vermächtnis, das bleibt

Heute lebt Mahjong Solitär in Browsern, Apps, auf Tablets, Fernsehern und Konsolen. Spieler durchforsten Schildkrötenlayouts, fluchen über Hinweisbuttons und versuchen, das Spielfeld ohne Mischen zu lösen. Und die meisten kennen den Namen Brodie Lockard nicht.

Doch jedes Mal, wenn jemand die Steine öffnet und ein Layout löst, ist das Teil seines Erbes. Nicht nur das Puzzle, sondern auch der kreative Akt unter schwierigsten Umständen. Lockard hat nicht einfach ein Spiel erfunden, er hat sich durch Code, Beharrlichkeit und Fantasie ein Stück seiner Welt neu erschaffen.

Manche Menschen kehren nach einem Schicksalsschlag in ihr altes Leben zurück. Andere, wie Lockard, bauen ein neues und schenken damit uns allen etwas Ruhiges und Dauerhaftes.