Die Geschichte von Mahjong Solitär: Wie ein stilles Spiel die Bildschirme eroberte

Auf den ersten Blick könnte man meinen, Mahjong Solitär sei ein jahrhundertealtes Spiel. Die Steine sind mit eleganten chinesischen Symbolen verziert, die Anordnung wirkt fast rituell und altüberliefert. Doch trotz seines klassischen Aussehens ist diese Variante von Mahjong eine überraschend moderne Erfindung. Sie wurde nicht in Teehäusern der Qing-Dynastie gespielt und findet sich in keinem antiken Schriftstück. Mahjong Solitär entstand in den frühen Tagen der Heimcomputer und verbreitete sich rasant.

Das ursprüngliche Mahjong

Vier Männer spielen traditionelles Mahjong am Tisch

Um zu verstehen, woher Mahjong Solitär kommt, hilft ein Blick auf das traditionelle Spiel mit vier Spielern, dem es seine Steine verdankt. Dieses ursprüngliche Mahjong entwickelte sich in China im späten 19. Jahrhundert, vermutlich in der Region um Hangzhou, Ningbo und Shanghai. Es ging aus älteren Karten- und Steinspielen hervor und nahm allmählich die heute bekannte Form an: vier Spieler, 136 oder 144 Spielsteine, ziehen und abwerfen, eine vollständige Hand bilden und Mahjong erklären.

Schon Anfang des 20. Jahrhunderts war Mahjong in China eine nationale Leidenschaft. Es wurde in privaten Wohnungen, Teehäusern, Klubs und Spielhallen gespielt. Es war Denkspiel und gesellschaftliches Ritual zugleich.

In den 1920er Jahren gelangte Mahjong in die USA. Eine Schlüsselfigur dabei war Joseph Park Babcock, ein Amerikaner, der längere Zeit in China gelebt hatte und das Potenzial des Spiels erkannte. Er veröffentlichte ein vereinfachtes Regelwerk mit dem Titel „Rules of Mah-Jongg“ und begann, Spielsets zu importieren. Seine Version machte das Spiel für amerikanische Spieler zugänglicher und löste einen regelrechten Mahjong-Boom aus.

1923 war Mahjong überall zu finden: in Kaufhäusern, auf Dinnerpartys, in Zeitschriften. Es wurde eines der meistverkauften Spiele des Landes. Sogar Tiffany’s verkaufte Spielsets, und bald entwickelte sich eine eigene amerikanische Spielweise mit Punktelisten, Jokern und offiziellen Ligen.

Trotzdem war diese gesellige Vier-Spieler-Version von Mahjong ein völlig anderes Spiel als das ruhige Puzzlespiel, das später unter dem Namen Mahjong Solitär bekannt wurde.

Wie die digitale Welt etwas völlig Neues erschuf

Mahjong Solitaire hat nichts mit Ziehen, Abwerfen oder Handaufbau zu tun. Es behält zwar das Aussehen der Steine bei, also Bambus, Kreise, Zeichen, Winde, Drachen und Blumen, verwandelt sie aber in ein Einzelspieler-Puzzle. Und dieses Puzzle stammt nicht aus alten Traditionen, sondern von einem Programmierer aus Kalifornien.

1981 entwickelte Brodie Lockard ein Computerspiel namens „Mah-Jongg“ für das PLATO-System. Inspiriert vom visuellen Reiz der Mahjong-Steine hatte er die Idee, sie gestapelt in mehreren Ebenen zu arrangieren wie eine kleine Skulptur. Das Layout, später bekannt als „die Schildkröte“, bestand aus 144 Steinen. Die Regeln waren einfach: Entferne passende Paare, aber nur, wenn die Steine nicht blockiert sind, also keinen Stein darüber haben und mindestens eine lange Seite frei ist.

Das Ergebnis war klug, ruhig und überraschend fesselnd.

Vom Büro auf den Bildschirm

Titelbildschirm von Shanghai 1986 auf dem C64

1986 machte Activision aus dieser Idee ein kommerzielles Produkt namens „Shanghai“ und veröffentlichte es für Amiga, Macintosh, Atari ST, IBM PC und weitere Plattformen. Für viele war es der erste Kontakt mit einem ruhigen, logikbasierten Computerspiel.

Mahjong-Spiel Taipei im Windows Entertainment Pack 1990

1990 veröffentlichte Microsoft eine eigene Version namens „Taipei“ als Teil des Windows Entertainment Pack und brachte das Spiel auf Millionen Bürorechner. Es war die perfekte Pause zwischendurch. Kein Ton, keine Explosionen, nur ein beruhigender Stapel Steine und die Herausforderung, ihn komplett zu räumen. Mitte der 90er war Mahjong Solitär überall.

Die Flash-Ära und der Aufstieg mobiler Spiele

Mit dem Aufschwung browserbasierter Spiele in den 2000er Jahren fand Mahjong Solitär seine ideale Heimat. Es lud schnell, funktionierte ohne Tastatur und wurde von Entwicklern mit neuen Ideen erweitert. Es gab dutzende Layouts, frische Grafikstile und hilfreiche Funktionen wie Hinweise, Rückgängig-Schaltflächen und Neumischungen.

Als Smartphones und Tablets aufkamen, machte Mahjong Solitär den Übergang mühelos mit. Die Steuerung per Touch war intuitiv. Die Logik blieb dieselbe. Und das Spiel bot etwas Seltenes: konzentriertes Denken ohne Stress.

Egal ob zwei Minuten oder zwanzig, Mahjong Solitär passte sich jedem Moment an.

Warum Mahjong Solitär so gut funktioniert

Der Ablauf des Spiels ist klar und befriedigend. Man findet ein Paar, entfernt es, und das Spielfeld öffnet sich. Jeder Zug schafft mehr Raum oder macht das Spiel enger. Mit der Zeit erkennt man, welche Steine man besser noch nicht anfasst und welche Paare den Weg freimachen.

Man muss keine Namen der Zeichen kennen oder Regeln auswendig lernen. Das Spiel erklärt sich selbst. Man lernt durch Beobachtung, und die Symbole werden vertraut, ohne dass man sie studieren muss. Aus einem einfachen Zuordnungsspiel wird bald eine Übung in räumlicher Planung, die Geduld und ein scharfes Auge belohnt.

Ein Puzzle, das sich immer weiterentwickelt

Heute lässt sich Mahjong Solitär auf fast jedem Gerät spielen. Auf dem Handy, im Browser, auf dem Tablet oder sogar am Smart-TV. Es braucht keine teure Technik und keine langen Erklärungen. Es funktioniert einfach.

Manche Versionen bieten Timer, Punktesysteme und Levelstufen. Andere bleiben schlicht und meditativ. Doch das Grundprinzip, ein Paar finden und das Spielfeld räumen, ist seit über 40 Jahren gleich geblieben.

Es ist eines der wenigen Spiele, das den Untergang von Flash, den Aufstieg des Mobilspielens und den Wandel hin zu Gelegenheitsspielen überstanden hat, ohne sich zu verlieren.